In unserer Beziehung wollen wir vor allem eines: uns verstanden fühlen.
Von seinem Kind genervt zu sein, ist doof. Angst zu haben, immer nur die zweite Geige zu spielen, macht unsicher. Tierisch wütend zu werden, ist an sich schon kein schönes Gefühl.
Aber wenn von deinem Partner nur kommt „Jetzt entspann dich doch mal“ oder „Du bist doch die Erwachsene, reiß dich halt zusammen“ macht das die Sache noch 1000 mal schlimmer! Selbst wenn er sagt „Ich verstehe dich ja“, fühlt sich das noch lange nicht so an.
Deshalb gebe ich Paaren, die zu mir in die Beratung kommen, den Tipp, stattdessen die Gefühle zu benennen. Wie das genau geht und warum das einen enorm entspannenden Effekt hat, erfährst du in diesem Blogartikel.
Was ist der Rumpelstilzchen-Effekt?
Als Patchworker sind wir mit Märchen ja sowieso bestens vertraut (Stichwort: „böse Stiefmutter“ ;)). Tatsächlich hilft uns eine bestimmte Figur in Sachen Emotionsregulation. Kennst du die Geschichte von Rumpelstilzchen? Darin gewinnt eine Müllerstochter die Macht, einen Kobold zu besiegen, indem sie seinen Namen herausfindet und ausspricht. Daraus ist in der Psychologie der sogenannte „Rumpelstilzchen-Effekt“ entstanden.
Der Effekt basiert auf einem einfachen psychologischen Prinzip:
Wenn wir ein Gefühl klar benennen, wird das Stresszentrum im Gehirn – die Amygdala – weniger aktiv. Gleichzeitig wird der Teil des Gehirns aktiviert, der für Reflexion und Problemlösung zuständig ist. Die Folge: Wir fühlen uns weniger überwältigt und kommen wieder ins Gleichgewicht. Es ist, als ob die Amygdala sich beruhigt, weil sie merkt, dass ein anderer, fortschrittlicherer Teil des Gehirns das Problem erkannt hat.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass dieses sogenannte Affect Labeling sogar wirkungsvoller ist als Ablenkung oder reine Beruhigung.
Warum „Entspann dich mal“ nicht hilft
In unsicheren Situationen ist die Amygdala, ein Teil des Gehirns, besonders aktiv. Die ganze Energie steckt im Stressnetzwerk, für sinnvolle Überlegungen ist keine Kapazität frei. Wie Rumpelstilzchen, der wütend ums Feuer tanzt.
Je mehr wir uns hineinsteigern, umso schlimmer wird es. Das gleiche passiert auch, wenn ein Kind einen Wutanfall hat. Um aus diesem Zustand herauszukommen, müssen wir sozusagen die Macht des Gefühls brechen.

Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:
- Wir können es selbst tun. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir uns fühlen, ein passendes Wort suchen und es laut aussprechen, wird ein anderer Teil des Gehirns (der präfrontale Cortex) aktiviert. Dadurch bleibt weniger Energie für die Amygdala übrig, was sie beruhigt – und uns mit ihr.
- Jemand anderes hilft uns dabei, indem er das Gefühl für uns benennt. Hier kommt dein Partner ins Spiel, indem er das Gefühl für dich „ausspricht“ und dadurch den Rumpelstilzchen-Effekt auslöst.
Achtung: Wir sind es gewohnt, das Gefühl wegmachen zu wollen, indem wir beschwichtigen oder gute Ratschläge geben. Das ist zwar gut gemeint, hilft aber in der Regel überhaupt nicht!
Drei Gründe, warum das Benennen von Gefühlen so kraftvoll ist
In Partnerschaften eskalieren Konflikte oft, weil sich einer von beiden nicht verstanden fühlt. Das gilt selbst dann, wenn dein Partner sagt: „Ich verstehe das“. Verstehen geschieht nämlich mit einem anderen Teil des Gehirns, der bei Gefühlen eben nicht so wichtig ist wie die Amygdala!
- Es schafft Verbindung – Dein Partner fühlt sich gesehen und ernst genommen.
- Es entschärft Konflikte – Statt sich gegenseitig hochzuschaukeln, beruhigt ihr euch schneller.
- Es macht Gefühle händelbar – Benannte Gefühle wirken weniger überwältigend.
So funktioniert der Rumpelstilzchen-Effekt ganz praktisch
Du bist überzeugt und möchtest das selbst erleben und ausprobieren? Super! Dann kommt hier der einfache 3-Schritte-Plan, um Rumpelstilzchen zu zähmen.
Schritt 1: Beobachten
Um das Gefühl zu benennen, musst du es zumächst erstmal erkennen. Achte dafür auf Mimik, Körpersprache und Tonfall. Frag dich: Was könnte mein Partner gerade fühlen?

Rumpelstilzchen bezieht sich nicht nur auf Situationen, in denen die Wut die Überhand hat. Das gleiche Effekt gilt auch bei allen anderen Emotionen wie Trauer, Angst oder Hilflosigkeit.
Deine Wahrnehmung muss gar nicht wahnsinnig ausdifferenziert sein, eine grobe Einteilung reicht völlig. Am häufigsten sind folgende „Gefühlsfamilien“:
- Wut: wütend, sauer, ärgerlich, verärgert, angepisst, fuchsteufelswild, auf 180…
- Trauer: traurig, mitgenommen, enttäuscht, niedergeschlagen,
- Angst: unsicher, beunruhigt, alarmiert, macht sich Sorgen, hilflos, ratlos, besorgt…
Noch ein Tipp: Es geht nicht darum, ob das Gefühl in deinen Augen „angemessen“ ist. Es ist einfach da. Punkt.
Und: Du musst auch nicht die Verantwortung (bzw. „Schuld“) dafür übernehmen.
Schritt 2: Benennen
Versuche, das Gefühl in Worte zu fassen, ohne zu interpretieren oder zu bewerten. Nutze dafür ein Gefühlswort aus der Liste, das zu dir und des Intensität des Gefühls passt.
- „Das regt dich echt tierisch auf, was?“
- „Bist du darüber enttäuscht?
- „Du machst dir ganz schön Sorgen.“

Keep it simple! Mach es nicht unnötig kompliziert. Ein kurzer Satz, eine Frage oder Vermutung reicht.
- „Bist du (Gefühl)?“
- „Du klingst ziemlich (Gefühl).“
Nochmal ganz deutlich: So bitte nicht!
❌ „Du bist immer so empfindlich!“
❌ „Stell dich nicht so an!“
❌ „Dann musst du halt mal deine Bedürfnisse zurückstellen.“
Bewertungen, Aufforderungen oder (gut gemeinte) Ratschläge helfen nicht. Das hast du in der Vergangenheit schon zu Genüge getestet, oder? Eben!
Schritt 3: Beiseite treten.
Nichts tun.
Zuhören.
Da sein.
Warten.
Keine Ratschläge oder Lösungen geben!
Wenn weitere Emotionen auftauchen, nochmal bei Schritt 1 anfangen.

Die 3 B-Formel: Beobachten – Benennen – Beiseite treten

- Beobachten: Was nehme ich gerade wahr (Tonfall, Mimik, Körpersprache)?
- Benennen: „Du klingst gerade richtig genervt…“
- Beiseite treten (im Sinne von innerlich Raum geben): Ich lasse das Gefühl stehen, ohne zu bewerten oder es wegmachen zu wollen.
Übung für Paare: Gefühle spiegeln
Wir sind es nicht gewohnt, Gefühle zu benennen.
Stattdessen wollen wir sie möglichst schnell „wegmachen“, indem wir sie klein reden, gute Tipps geben oder ablenken und beschwichtigen.
Dass das nicht den gewünschten Effekt hat, ist dir schon lange bewusst (und jetzt weißt du auch, warum das so ist). Es anders zu machen, ist trotzdem schwierig. Da heißt es üben, üben, üben.
Probiert diese Übung aus, um den Rumpelstilzchen-Effekt bewusst einzusetzen:
- Nehmt euch 10 Minuten Zeit. Einer von euch erzählt eine kleine Alltagssituation, die ihn emotional bewegt hat.
- Der andere versucht, das Gefühl dahinter zu spiegeln. („Das hat dich traurig gemacht, oder?“)
- Der Erzähler gibt Feedback: Hat die Benennung gestimmt oder war es ein anderes Gefühl?
- Wechselt die Rollen.
Diese Übung hilft euch, feiner auf die Gefühle des anderen zu achten und eure Verbindung zu vertiefen.

Wenn ihr als Paar noch mehr miteinander in Beziehung gehen und echt Nähe aufbauen wollt, lege ich euch dringend Zwiegespräche ans Herz. Wie das geht, habe ich hier aufgeschrieben: Zwiegespräch: Wie achtsamer Austausch eure Beziehung bereichert
Fazit: Kleine Worte, große Wirkung
Wenn dein Partner gestresst, wütend oder verletzt wirkt, ist das Letzte, was hilft, ein „Entspann dich doch mal“.
Viel wirksamer ist es, das Gefühl wahrzunehmen, zu benennen – und dann einfach Raum zu lassen. So fühlt sich dein Gegenüber gesehen, ernst genommen und kann sich leichter beruhigen.
Der Rumpelstilzchen-Effekt zeigt: Manchmal reicht ein einziges Wort, um die emotionale Temperatur im Raum deutlich zu senken. Probier es aus – du wirst überrascht sein, wie viel sich verändert.
Teile gern, was du aus dem Artikel mitnimmst – und leite ihn an jemanden weiter, der öfter mal „Entspann dich doch!“ sagt 😉