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Last Updated on 30. Januar 2023 by Marita

BINGO! Ich bin seit über 10 Jahren Stiefmutter oder wie ich es lieber nenne Bonusmama. In dieser Zeit habe ich viele Sprüche und Vorurteile zu hören bekommen. Sogar so viele, dass ich ein Bullshit-Bingo daraus erstellt habe. Teilweise waren die Kommentare bestimmt nett gemeint, aber trotzdem verletzend. Bei anderen war ich einfach nur perplex. 

Warum sagen Menschen so etwas? 

Ich hoffe, es liegt einfach daran, dass Nicht-Patchworker keine Vorstellung davon haben, wie es Stiefeltern geht. Ich wünsche mir mehr Akzeptanz von Patchworkfamilien in der Gesellschaft. Ich möchte verstehen und verstanden werden. Deshalb starte ich dieses Projekt: Wir räumen auf mit Patchwork-Vorurteilen!

Die Phrasen aus dem Bullshit-Bingo habe ich mir nicht etwa ausgedacht. Jede einzelne mussten sich Mitglieder meiner Facebook-Gruppe schon mal anhören. 

In diesem Artikel nehmen wir uns die Sätze, die man als Stiefmutter immer wieder zu hören bekommt, einzeln vor. Ich brauche dich mit deinen Erfahrungen und deiner Geschichte. Hast du diesen Spruch selbst schon gehört? Was löst er in dir aus? Wie geht es dir damit? 

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass Patchwork gesellschaftsfähig wird. Das alte Bild der bösen Stiefmutter aus dem Märchen gehört endgültig aus den Köpfen verbannt. Aus Sitefmüttern werden Bonusmamas. Wir räumen auf mit Patchwork-Vorurteilen!

Vorurteil Nr. 1: Du wusstest doch, dass er ein Kind hat. 

Kaum eine Stiefmutter, die diesen Spruch noch nicht gehört hat!

Als ob die reine Sachinformation, dass der neue Partner ein Kind hat, irgendetwas erklärt. Wie sich das anfühlt, welche konkreten Konfliktsituationen daraus entstehen können, warum es trotzdem manchmal schwer ist – all das hat nach diesem Satz gefühlt keine Daseinsberechtigung mehr. Und genau deshalb ist der Satz so gemein.

Du wusstest doch, dass er ein Kind hat. Das ist anscheinend die Begründung für absolut ALLES, was jemals passiert und nimmt komplett die Berechtigung, ein Problem zu thematisieren. Glaub mir, niemand kann sich vorstellen, wie es ist, im Patchwork zu leben und was da so alles auf einen zukommt… Die Vorstellung davon, wie es sein würde, Kinder zu haben, hat selten etwas mit der Realität zu tun, wie viele Eltern festellen mussten. Und genauso wenig vorstellbar ist es, ein Bonuskind zu haben. 

Felicitas hat es mal so treffend formuliert: “Das würde man nie sagen zu jemandem sagen, der eine „klassische“ Beziehung hat: „Du wusstest, dass er Eltern hat – Dein Problem, wenn du jetzt nicht damit klarkommst, dass die bei euch einziehen/gepflegt werden müssen/ dauernd vor der Tür stehen o.ä.“ 

Vorurteil Nr. 2: Also, ich könnte das ja nicht!

Diesen Satz stecke ich in die Kategorie “Gut gemeint ist nicht gut gemacht.” Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der das sagt, Mitleid zeigen möchte, vielleicht sogar Anerkennung. Ich glaube nicht, dass Menschen bösartig sind. Wir merken manchmal gar nicht, dass wir respektlos sind. 

Viele Respektlosigkeiten sind im Ansatz gut gemeint. Im Alltag zeigt sich das zum Beispiel im Verharmlosen. Wenn jemand mit einem Problem zu uns zukommt, sagen wir gern “Ist doch nicht so schlimm! Das schaffst Du schon.” Mit dem Spruch “Andere Mütter haben auch schöne Töchter” bagatellisieren wir so mitunter eine Trennung weg! Vielleicht haben wir das aus der Kindheit verinnerlicht. Wenn ich hinfalle und dann höre “Nichts passiert! Steh wieder auf!” führt das nicht dazu, dass ich mich ernst genommen fühle. Das mag gut gemeint sein, aber es sieht den anderen überhaupt nicht. Im Grunde genommen ist dieses Wegwischen von Gefühlen schon rhetorische Gewalt. 

Das Gegenteil davon ist die Verschlimmerung, die genauso wenig hilfreich ist. Oft erlebt bei Frauen untereinander. Wenn eine Frau emotional auf die andere zukommt, sagt die andere gerne: “Dass Du das aushältst! Also, ich könnte das ja nicht. Ich könnte so nicht leben. Mit so einem möchte ich nicht verheiratet sein.” Wow, da fühle ich mich gleich noch viel schlechter. Als hätte ich eine total falsche Wahl getroffen und wäre dadurch irgendwie selber Schuld an der Situation. Bitte, Mädels, sagt das einfach nicht zu euren Freundinnen. 

Du weißt nicht, was Du sonst sagen sollst? Mein Vorschlag ist, es anzunehmen, wie es gerade ist. Nicht verschlimmern, nicht verharmlosen, sondern einfach mitfühlen: “Das ist grad echt total schwer für Dich, hm?” Nichts weiter. 

Vorurteil Nr. 3: Mit Deinem Bonuskind kuscheln? Geht gar nicht!

Diesen Spruch habe ich selbst noch nicht zu hören bekommen und ich war zunächst überrascht, als ich ihn in meiner Facebook-Gruppe gelesen habe.

Dann kam mir der Gedanke, dass ich es selbst am Anfang komisch fand, mit meinem Bonussohn zu kuscheln. Wobei, das stimmt nicht. Ganz am Anfang, als er noch ein Baby war (ich habe ihn kennengelernt, als er erst 1,5 Jahre alt war), war das ok. Wenn ein Baby weint, nimmt man es fast schon natürlicherweise auf den Arm, oder?

Aber im Grundschulalter gab es immer weniger Körperkontakt. Nun könnte es vielleicht daran liegen, dass er ein Junge ist. Auch da gibt es ja Studien, die belegen, dass mit Mädchen mehr gekuschelt wird als mit Jungs. Dazu kommt, dass er bei uns mit seinen mittlerweile 12 Jahren “der Große” ist. Mir ist aber aufgefallen, dass er mit seiner Mama sehr viel schmust. Ich habe mich dann gefragt, ob es an mir oder an ihm liegt, dass wir beide nicht so viel miteinander kuscheln.

Seitdem er während des ersten Lockdowns mehrere Wochen am Stück bei uns war, hat sich unsere Beziehung verändert. Ich würde sagen, wir sind uns näher gekommen. Er wollte auf einmal abends, wenn ich ihm Gute Nacht gesagt habe, mit mir kuscheln. Bei Wanderungen hat er manchmal meine Hand genommen und bei Videoabenden haben sich plötzlich alle drei Kinder darum gestritten, wer links und rechts von mir sitzen darf.

Dieses Vorurteil ist also definitiv widerlegt! Mit meinem Bonuskind kuscheln geht ganz wunderbar und tut uns beiden gut. Wie ist das bei Dir? Kuscheln mit Deinem BK – ja oder nein? Und warum (eigentlich nicht)? Wie ist es für Dich als Mama, wenn Du Dir vorstellst, dass Deine Kinder auch mit ihrer Stiefmutter kuscheln? Schreib es in die Kommentare!

Vorurteil Nr. 4: Du denkst wohl, Du bist die bessere Mutter, was?

Puh, in diesem Satz stecken so viele Emotionen. Angst, Trauer, Sorge, Neid… Ich bin überzeugt davon, dass Patchwork für alle Beteiligten nicht leicht ist. Besonders das Verhältnis zwischen leiblicher Mutter und Stiefmutter!

Kennst Du die Geschichte “Der kaukasische Kreidekreis” von Bertold Brecht? Darin streiten sich zwei Frauen um ein Kind, die leibliche Mutter und die Magd, bei der das Kind aufgewachsen ist. Der weise Richter soll entscheiden, welcher Frau das Kind zugesprochen wird. Er ordnet an, den Beweis der Mutterschaft durch ein Experiment zu erbringen. Dazu lässt er das Kind in einen Kreidekreis stellen und fordert beide Frauen auf, gleichzeitig zu versuchen, das Kind zu sich aus dem Kreis herauszuziehen. Die Frau ist die „wahrhaft Mütterliche“, die das Kind loslässt, weil sie es liebt und ihm nicht weh zu tun.

Ich mag an der Geschichte, dass Loslassen ein Akt der Liebe ist. Kann ich als Stiefmutter meine Vorstellung von einer perfekten Mutter loslassen?

Das Bild des Kreidekreises kann sehr gut auf die Situation in einer Patchworkfamilie angewendet werden. Kinder leiden unter dem Gezerre von beiden Seiten. Die Stiefmutter steht entweder zusammen mit dem leiblichen Vater auf einer Seite oder der Vater steht unschlüssig am Rand und weiß nicht, was er tun soll. Im Grunde ihres Herzens wollen doch alle Beteiligten dasselbe. Leider stehen Eifersucht, Neid und Habgier dem oft im Weg.

In meiner Arbeit mit Patchworkfamilien fallen immer wieder Sätze wie: “Die Kindsmutter manipuliert das Kind und hetzt es gegen uns auf!” oder “Die Stiefmutter steckt sich in alles rein und überschreitet ihre Kompetenzen. Dabei ist sie doch nicht die echte Mutter!”

Ich finde es wichtig, dem Kind zu vermitteln, dass es hier nicht um einen Kampf geht, bei dem nur einer gewinnt. Vielmehr sitzen alle in einem Boot, wie es so schön heißt, und steuern auf ein gemeinsames Ziel zu. Dieses ist ein harmonisches und glückliches Familienleben für alle Beteiligten.

Vorurteil Nr. 5: „Ist das nicht komisch für Dich, dass Dein Partner schon mal verheiratet war?“

Ja klar, in meinem Prinzessinnentraum als kleines Mädchen hatte der Märchenprinz auf seinem weißen Pferd keine Kinder mit einer anderen Frau und selbstverständlich war er auch noch nicht verheiratet. Aber wir leben ja nun mal in der Realität. Wenn wir uns die Scheidungsraten anschauen, ist es statistisch gesehen alles andere als unwahrscheinlich, dass der neue Partner eine Vorgeschichte hat.

Die Scheidungsrate ist seit 2005 von über 50% auf aktuell etwa 30% gesunken. Etwa jede 3. Ehe geht also auseinander. In ca. der Hälfte der Trennungen sind Kinder involviert. Diese leben in 95% der Fälle nach der Scheidung bei einem Elternteil. Wiederum bei 95% ist das die Mutter. Soviel zur Statistik.

Die andere Frage ist aber doch: Wie gehe ich mit der Vorgeschichte meines Partners um? Bewerte ich es als schrecklich oder sehe ich darin sogar Vorteile? Immerhin kann ich mir vorher anschauen, wie der Mann sich als Papa verhält und ich weiß, dass er zeugungsfähig ist (oops, wie böse!)

Dass einmal eine Beziehung gescheitert ist, heißt nicht, dass sich das wiederholen muss (noch so ein Vorurteil, das wir in den nächsten Wochen noch unter die Lupe nehmen werden). Und ich bin auch nicht die “nur” die Zweitfrau, sondern vielmehr bauen wir unsere gemeinsame Zukunft auf den Erfahrungen der Vergangenheit auf.

Ich zitiere an dieser Stelle mal Claudia aus meiner Facebook-Gruppe. Sie bekam von ihrer Freundin zu hören: “Claudi, der ist doch schon gebraucht. Der hat Altlasten: Frau und Kind. Das bremst nur aus, renn weg!” Darauf antwortete sie: “Wenn ein Mann in unserem Alter (+/- 40) keine Altlasten hat, DANN renne ich weg!”

Oder um es nochmal auf den Punkt zu bringen: Scheiß auf die erste große Liebe. Die letzte große Liebe, darauf kommt es an!

Wie ist das für Dich? Mann mit Kind – ja oder nein?

Vorurteil Nr. 6: Das kannst Du nicht verstehen, Du hast ja keine Kinder. 

Aua! Dieser Satz tut so richtig weh. Insbesondere, wenn er vom Partner selbst kommt… 

Ich erinnere mich auch noch gut an den Beginn meiner Beziehung mit einem “Mann mit Kind”. Natürlich war ich mir zu jedem Zeitpunkt bewusst, dass ich (noch) keine Kinder habe. Das war ja ein Grund, warum diese ganze Patchworkgeschichte teilweise so schwer ist. Der Mann, den ich liebe, hat ein Kind mit einer anderen Frau. So etwas verbindet, über die Dauer einer Beziehung hinaus. Mein Kopfkino spielte immer mal wieder verrückt und sendete mir Bilder von harmonischen Familienmomenten aus der Vergangenheit meines Partners. Der Sohn sieht aus wie seine Mutter – denkt mein Partner dann nicht ständig an sie, wenn er sein Kind anschaut? Ja, ich weiß, dass das alles nur in meinem Kopf ist und ich das besser nicht denken sollte. Doch dieses Wissen auch umzusetzen ist schwer, umso mehr, weil ich mir selbst schon immer Kinder gewünscht habe. 

Ja, ich gebe zu, dass Muttergefühle schwer vorstellbar sind. Es ist bis heute so, dass ich meinen leiblichen Kindern gegenüber andere Gefühle habe als meinem Bonuskind. Das ist völlig okay, denn er hat ja eine Mama. Dennoch kann ich mich empathisch in andere einfühlen. Gleichzeitig ist nämlich das Gegenteil der Aussage genauso falsch (bzw. wahr): Wer kann nachempfinden, wie ich mich als Stiefmutter fühle, der das selbst nicht erlebt hat?! 

Empathie bedeutet nicht, dass ich alles selbst erfahren haben muss, um nachvollziehen zu können, welche Gefühle in anderen lebendig sind. Wir Menschen können aufgrund von Spiegelneuronen und Einfühlungsvermögen die Perspektive wechseln. Wir alle teilen die gleichen Bedürfnisse nach Nähe, Selbstbestimmung, Verbindung und Autonomie, egal ob diese in einem Moment erfüllt sind oder nicht. Deshalb ist dieser Satz verletzend, weil er ausschließt, statt Beziehung zu bauen und gegenseitiges Verständnis zu fördern. 

Du glaubst, ich verstehe nicht, wie es Dir geht? Dann sprich mit mir und sag es mir! Gerne im Kommentar 🙂

Vorurteil Nr. 7: Die Mutter sitzt eh immer am längeren Hebel. 

Das ist ja auch so ein Totschlagargument. Ich bin da ziemlich ratlos, wenn das jemand sagt. Was soll das eigentlich ausdrücken? “Du hast nichts zu melden? Es interessiert keinen, was Du denkst? Gib besser gleich auf?!” Nun, erstmal ist es eine sachliche Aussage, oder? Lass uns mal dahinterschauen, was die Fakten zum Thema sind: 

Rein rechtlich hast Du als Stiefmutter erst dann überhaupt eine “offizielle” Beziehung zum Kind Deines Partners, wenn ihr verheiratet seid. Allerdings bekommst Du auch dann weder das Erziehungsrecht, noch das Sorgerecht. Selbst wenn Du nach einer Hochzeit Stiefmutter geworden bist, bedeutet das nicht, dass Du die Eltern-Rechte und -Pflichten der Kindsmutter beeinflusst. In den meisten Fällen haben die leiblichen Eltern auch nach einer Scheidung und Trennung das geteilte Sorgerecht (§ 1687 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Das bedeutet, dass sie wichtige Entscheidungen für ihre Kinder gemeinsam treffen müssen. Der andere leibliche Elternteil darf also in einigen Fällen nicht nur mitreden, sondern muss bei bestimmten Entscheidungen ausdrücklich zustimmen, z. B. wenn ein Umzug geplant ist, der eine größere räumliche Distanz schafft, oder wenn es um die Auswahl einer weiterführenden Schule geht.

Das Wissen darum, dass Du als neue Frau an Papas Seite keinen Erziehungsaufrag hast, kann gerade am Anfang sehr entspannend sein. Du kannst Dich so viel einbringen, wie Du möchtest bzw. wie es im gemeinsamen Alltag mit Deinem Partner sinnvoll erscheint. Dein Fokus liegt nicht auf ERziehung, sondenr Du darfst eine BEziehung zu Deinem Bonuskind aufbauen. 

Für mich ist Erziehung sowieso kein Konzept, das man abspult. Vielmehr sehe ich es so, dass jeder, der Zeit mit einem Kind verbringt, es durch sein eigenes Verhalten prägt und demnach auch “erzieht”. Ein Zitat, das Karl Valentin zugeschrieben wird, lautet:

Wir können unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns eh alles nach.

Viel wichtiger als eine lehrbuchmäßige Erziehungsmethode ist demnach das authentische Vorleben von Werten und Verhaltensweisen. Unter diesem Blickwinkel kann Erziehung auch nicht untersagt werden (zum Beispiel von der Kindsmutter). Durch die gemeinsame Zeit, die Du mit dem Kind Deines Mannes verbringst, hast Du automatisch einen gewissen Einfluss, auch wenn Du Dich bewusst aus der Erziehung heraushalten willst. Die Frage, die Du Dir jetzt stellen solltest, ist: Wie möchtest Du mit den Kindern umgehen?

Jetzt bist du an der Reihe!

Welche Sprüche hast du dir schon anhören müssen? Über welche Phrasen sollte die Welt außerhalb von uns Patchworkern dringend aufgeklärt werden? Verrat es im Kommentar!

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Das hat geklappt!

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