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Last Updated on 31. März 2022 by Marita

 Bedürfnisse

Das ist ein Wort, das man im Alltag nicht oft benutzt. In der Alltagssprache kommt das gar nicht vor. Eher im Sinne von “bedürftig sein”. Das hat dann einen negativen Touch. Dabei ist es doch etwas ganz Wunderbares. Ein Bedürfnis beschreibt etwas Universelles, etwas, das alle Menschen brauchen, mal mehr, mal weniger. Im einen Moment ist das eine erfüllt, im anderen Moment ein anderes. Und darüber können wir uns dann verbinden, weil jeder Mensch die gleichen Bedürfnisse hat.

Bedürfnispyramide

Ihr kennt vielleicht dieses Bedürfnispyramide. Da hat man unten die Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Luft zum Atmen. Darüber dann Sicherheitsbedürfnisse: Gemeinschaft. Ganz oben steht dann irgendwann Selbstverwirklichung. Dieses Modell ist hier aber nicht gemeint, denn das ist ja sehr starr. Da ist ja die Idee, erst wenn die eine Stufe erreicht ist, steigt man weiter hoch.

Bedürfnisse in der Gewaltfreien Kommunikation

Wie ich Bedürfnisse verstehe, und wie das auch in der Gewaltfreien Kommunikation verstanden wird, kann jedes Bedürfnis mal erfüllt sein und mal unerfüllt. Das ist wie ein Pendel. Wenn man herausfindet, welche Bedürfnisse gerade unerfüllt sind, kann man sich darum kümmern, dass die wieder in die andere Richtung ausschlagen.

Wie finde ich mein Bedürfnis heraus?

Da kommen wir jetzt zu unserer ersten Frage: Wie finde ich denn heraus, was mein Bedürfnis überhaupt ist? Da ist es ganz praktisch, denn der Mensch denkt nicht nur, er fühlt ja auch. Das heißt, jeder hat Gefühle. Meistens verknüpfen wir die mit einer bestimmten Situation. Ich nehme einmal das Beispiel: Mein Kind springt auf dem Sofa herum. Ich sehe das und bin genervt. Das ist es, was wir eigentlich machen. Dann sagen wir: “Kind, hör auf, auf dem Sofa herumzuspringen!”

Wenn wir jetzt aber die Ebene “Bedürfnis” dazwischenschalten, passiert folgendes: Wir öffnen den Raum für Alternativen. Wir sagen dann nicht mehr: Das Kind muss aufhören, auf dem Sofa zu hüpfen, sonnst bin ich sauer. Sondern wir sagen: Worum geht es mir denn?

Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse

Interessant ist, dass es bei jedem Menschen unterschiedliche Bedürfnisse sein können. Dem einen geht es vielleicht darum, dass er gerade Ruhe braucht. Der hatte einen anstrengenden Tag. Dass jetzt das Kind herumhüpft, ist einfach zu viel. Ich brauche Ruhe. Mein Bedürfnis nach Ruhe ist nicht erfüllt, deshalb fühle ich mich gestresst. Weil mein Bedürfnis nicht erfüllt ist.

Für jemand anderen ist es vielleicht Sauberkeit. Das Kind hat keine Schuhe an, ist draußen barfuß gelaufen, und jetzt hüpft es mit den schmutzigen Füßen auf dem Sofa. Daran sieht man schon: Es sind unterschiedliche Bedürfnisse, und deshalb auch unterschiedliche Lösungsstrategien, die letztendlich dazu beitragen, dieses Bedürfnis zu erfüllen.

Das ist der erste Schritt. Ich muss mir persönlich darüber klar werden, worum es mir geht. Erst wenn ich das weiß, kann ich mit meinem Kind in Kontakt treten. Und zwar auf dieser verbindenden Ebene.

Was für ein Bedürfnis hat der andere?

Der nächste Schritt wäre, dass ich gucke: Was für ein Bedürfnis hat denn mein Kind? Da sind wir bei der Haltung, bei dem grundlegenden Menschenbild, das hinter diesem ganzen Konzept, den 4 Schritten und dem “wie macht man es, 1, 2, 3, 4” steckt. Das ist das Entscheidende. Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch so handelt, dass seine Bedürfnisse erfüllt werden. Das heißt, wenn mein Kind oder irgendjemand etwas tut, tut es das aus einem bestimmten Bedürfnis heraus.

In dem Fall könnte das Bedürfnis vom Kind “Bewegung” sein. Es saß vielleicht in der letzten Zeit still herum und hat gepuzzelt, und jetzt möchte es noch einmal toben. Es könnte aber auch etwas ganze anderes sein, zum Beispiel möchte das Kind Aufmerksamkeit. Es möchte nicht allein sein, es fühlt sich einsam und wählt jetzt diese Strategie, auf dem Sofa zu hüpfen, damit zum Beispiel die Mutter dazu kommt und sich mit ihm beschäftigt.

Da merkt ihr auch schon wieder, unterschiedliche Bedürfnisse führen zu unterschiedlichen Lösungen. Wenn es nur um die Bewegung geht, kann ich ja zu meinem Kind sagen: “Spring doch bitte draußen auf dem Trampolin!” oder “Fahr doch lieber eine Runde Fahrrad” oder so etwas. Wenn es aber um die Verbindung geht, und das Kind möchte gerade Aufmerksamkeit und Zeit mit jemand anderem verbringen und nicht allein sein, dann wird diese Lösung einfach nicht helfen! Daran sieht man, wie wichtig es ist, hinter dieses Bedürfnis zu kommen.

Bedürfnisse verbinden

Jetzt sagen wir mal, in dem Fall war es tatsächlich so. Das Kind hatte das Bedürfnis nach Bewegung, und ich habe das Bedürfnis nach Ruhe. Jetzt sind wir ja schon einen ganzen Schritt weiter: Wir haben schon meine Bedürfnisse und seine Bedürfnisse erkannt. Es ist wirklich toll. Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation sagt: In dem Moment, in dem beide die Bedürfnisse des anderen verstanden haben – und verstanden heißt nicht einverstanden sein, das heißt einfach nur, ich verstehe, worum es dir geht, warum du das machst, was du gerade brauchst – dauert es nur noch 20 Minuten, bis man eine Lösung findet.

Das finde ich wahnsinnig toll, weil das so absehbar ist. Es ist dann kein endloses “Mach das”, “Mach das nicht”, “Ich will aber nicht” und man hat diesen Konflikt, sondern man versteht, worum es geht, kann sich verbinden und dann sagen: Suchen wir eine Lösung, die beides abdeckt. Das könnte dann in dem Fall sein: Wir machen zusammen eine Radtour. Ich habe meine Ruhe, und das Kind hat Bewegung. Oder ich frage den Papa, ob er noch eine Runde mit dem Kind tobt, und trinke in der Zeit in Ruhe einen Kaffee. Da öffnet sich dann der Raum für verschiedene Möglichkeiten.

Grundannahmen

Wichtig ist, dass die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse der anderen gleich wichtig sind. Also ist es nicht so: Du bist aber nur das Kind, und deshalb sage ich dir, wo es langgeht. Sondern ich möchte ja diese Beziehung auf Augenhöhe, also gleichwürdig. Jeder ist gleich wichtig darin, in seinem Bedürfnis gesehen zu werden.  

Noch einmal dieser Punkt: Menschen handeln, um sich ein Bedürfnis zu erfüllen. Das heißt gleichzeitig, die handeln nicht gegen mich. Das Kind hüpft nicht auf dem Sofa, um mich zu ärgern oder weil ich dann so schön schreie – vielleicht auch, weil es dann eine Reaktion bekommt, aber dann ist es immer noch diese Idee: Es tut es aus einem guten Grund. Ein Bedürfnis ist etwas Positives. Es gibt kein Bedürfnis wie Neid oder Eifersucht oder Ärger. Das ist kein Bedürfnis. Das Bedürfnis ist immer positiv gedacht und formuliert und steckt positiv dahinter. Das macht die Schönheit davon aus. Es ist ja völlig okay, ein Bedürfnis nach Bewegung zu haben. Das habe ich auch manchmal. Vielleicht nicht in diesem Moment. Aber ich kann das nachvollziehen. Genauso kann das Kind nachvollziehen, dass es ein grundlegendes Bedürfnis nach Ruhe gibt. In dem Moment nicht. Da ist natürlich der vermeintliche Widerspruch.

Bedürfnisse „unden“

Aber das Schöne ist, dass man diese Bedürfnisse verbinden kann. Ich nenne das gern “unden”, also “und machen”, verbinden. Dein Bedürfnis UND mein Bedürfnis sind beide gleich wichtig, und wir finden eine Lösung, die beide 100 Prozent zufriedenstimmt.

Bei dieser Lösung ist auch wichtig: Das ist kein Kompromiss. Du hüpfst 5 Minuten, und dann bist du aber still. Sondern das ist. Beide sind zufrieden. Das war zum Thema Bedürfnisse.

Strategien zur Bedürfnisfindung

Manchmal ist es ja schwierig herauszufinden, was für ein Bedürfnis man eigentlich hat. Das geht so. Es gibt zwei Strategien, wie man dieses Bedürfnis herausfinden kann. Meistens wird es ja ausgelöst durch ein Verhalten von jemand anderen. Wir wollen das natürlich trennen. Das Gefühl ist nicht mit dem Verhalten verknüpft, sondern das Gefühl ist mit unserem Bedürfnis verknüpft. Wir sind nicht sauer, weil du hüpfst, sondern sauer, weil wir Ruhe brauchen. Wie finden wir also unser Bedürfnis heraus? Wir sehen das Verhalten: Das Kind hüpft auf dem Sofa, und die erste Strategie ist, wir drehen das um. Wenn das Kind nicht auf dem Sofa hüpfen würde, was erfüllt sich dadurch für mich? So kommen dahinter? Geht es mir um Ruhe? Geht es mir darum, dass das Sofa sauber bleibt? Geht es mir darum, dass wir sorgfältig mit unseren Möbeln umgehen? Geht es mir um Rücksichtnahme? Ich drehe also das Verhalten um und frage mich: Wenn sich derjenige anders verhalten würde, was würde sich dadurch bei mir für ein Bedürfnis erfüllen?

Das geht auch, wenn der andere eine Bewertung äußert wie “Du bist total rücksichtslos!”. Dann ist das Gegenteil der Bewertung das Bedürfnis. Wenn jemand sagt “Du bist total rücksichtslos!”, dann wäre sein Bedürfnis Rücksichtnahme. Diese zwei Möglichkeiten gibt es. Über das Verhalten oder über die Bewertung zu schauen, was löst es umgedreht bei mir aus.

Den guten Grund erkennen

Könntest du noch einmal darauf eingehen, was es bedeutet, dass Menschen aus einem guten Grund handeln? Was kann man machen, wenn man beim anderen einfach keinen guten Grund erkennen kann?

Das ist fast schon eine Glaubensfrage, würde ich sagen. Man muss das aktiv, bewusst voraussetzen. Es gibt auf jeden Fall einen guten Grund. Denn solange ich da gar nicht hinkomme, drehe ich mich immer noch in dieser Schleife von “Der andere ist doof, der will mich nur ärgern, der ist bestimmt neidisch, und deshalb macht der das, der ist sowieso immer gemein”. Der hat einen guten Grund. Das ist eine Annahme. Eine Grundannahme, die ich treffe und an die ich glauben will. Die führt dann dazu, dass ich suche, worum es ihm gehen könnte.

Bedürfnis erraten ist erlaubt

Wenn ich mit dem anderen im Gespräch bin, ist es legitim zu raten. “Bist du gerade sauer, weil du dich noch ein bisschen austoben möchtest?”, um bei dem Beispiel zu bleiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen manchmal gar nicht wissen, was ihre Bedürfnisse sind. So geht es uns ja auch. Und wir sind schon einen Schritt weiter und beschäftigen uns damit. Mein Kind, mein Partner oder wer auch immer sind vielleicht noch gar nicht in diesem Prozess. Wenn man dann einfach fragt: “Worum geht es dir denn?”, ist der andere vielleicht einfach überfordert und kann das nicht benennen.

Wenn ich es aber erspüre und ihm einen Vorschlag mache – “Geht es dir vielleicht darum, dass du deine Ruhe haben möchtest?”, “Geht es dir darum, dass du selbst entscheiden möchtest, was jetzt passiert?” – dann merkt man, wenn man das Richtige getroffen hat, dass der andere in Resonanz geht und das bestätigt “Genau, das ist es!”

Bedürfnisse: meins, deins, unsere

Für den Einstieg zum Thema Bedürfnisse war das jetzt schon ziemlich viel. Wir haben darüber geredet. wie ich meine eigenen Bedürfnisse herausfinde. Dann kommt der Schritt, dass ich gucke, was der andere für ein Bedürfnis hat. Der dritte Schritt ist dann, ich versuche, beide Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen und zu “unden”, zu verbinden und eine Lösung zu finden, die uns beide zufriedenstellt. Das ist dieser Prozess, der für mich einfach ganz wichtig ist und der wegführt von dem Kampf: Ich will A, du willst B und das geht nicht. Wenn wir es schaffen, das ganze auf die Bedürfnisebene zu heben, dann öffnet sich der Raum für viele unterschiedliche Lösungen.

Gilt das für alle?

Eine Frage: Auf die Kinder bezogen stimmt es. Die Praxis hat gezeigt, dass es klappt. Aber wie sieht es mit der Kindsmutter aus?

Das ist das größte Thema bei den Patchworkfamilien. Natürlich ist die Kindsmutter auch ein Mensch und handelt auch aus ihren Bedürfnissen. Das ist natürlich eine ganz problembeladene Beziehung. Da ist viel Neid, Wut und Missverständnisse. Das ganze hat sich schon aufgeschaukelt. Man hat so einen gewissen Machtkampf. Aus dem muss man erst einmal raus. Meine Erfahrung ist, dass die Kindsmutter vielleicht noch nicht die Erfahrung gemacht hat, dass sich irgendjemand dafür interessiert, war für ein Bedürfnis dahintersteckt. Das heißt, wenn man mal vermutet “Geht es dir darum: du willst dich hier auch weiter einbringen, du willst weiter wichtig sein, so etwas wie Selbstwirksamkeit” und sie einfach mal gefragt wird und die Möglichkeit hat, das zu bestätigen, dann ist auch da diese Augenhöhe möglich. Je mehr da schon vorgefallen ist und je weiter der Karren im Dreck steckt, desto schwieriger ist es, da wieder auf diese neutrale Ebene zu kommen. Ich denke, die Voraussetzung ist, dass ich für mich erst einmal anerkenne, dass sie tatsächlich auch einen guten Grund hat. Aus ihrer Sicht. Sie macht es nicht, um dich zu ärgern. Sie macht es aus einem bestimmten Bedürfnis heraus. Was könnte das sein?

Wenn du mehr über den Umgang mit der Kindsmutter lesen möchtest, klick hier: „Kommunikation verweigert: Da kann Gewaltfreie Kommunikation nicht funktionieren – oder doch?“

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Das hat geklappt!

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